Von Gabriele Szczegulski | 16.02.2017
Lesen öffnet große Horizonte, die Begegnung zwischen Lesern und Schriftsteller neue Blickwinkel“, sagt Autorin Zehra Cirak bei der Lesung in der Klasse 10b der Realschule im Aurain. Damit wirbt sie bei den Schülern nicht nur darum, mehr zu lesen, sondern auch für mehr Projekte wie „Deutsch geht gut“, die die Begegnung zwischen Autoren und Schülern fördern. Zum dritten Mal ist Zehra Cirak zu Gast bei „Deutsch geht gut“ in Bietigheim-Bissingen.
Am Mittwoch begann in den Realschulen im Aurain und Bissingen sowie in der Sand- und der Waldschule das Literaturprojekt. Die erste Phase sind die Autorenlesungen und zwei öffentliche Lesungen, im März beginnen die Schreibwerkstätten für Schüler. Die fünf Autoren Zehra Cirak, Najem Wali, Karin Bruder, Jaroslav Rudis und Artur Becker sind am Mittwoch und Donnerstag in den Schulen zu Gast. „Solche Lesungen eröffnen die Möglichkeit, den Schülern die Vielfalt der Wörter und der Sprache zu vermitteln“, sagt Cirak, die versucht, das Lesen von Gedichten schmackhaft zu machen. Deswegen las sie „Länderkunde“, ein Gedicht, in dem sie das Wort „Einwanderer“ zerpflückt, wie sie sagt. Die Zehntklässler der Realschule lassen sich darauf ein, wollen das Gedicht noch einmal lesen, sind fasziniert über die Einfachheit des Wortes und die Komplexität des Inhalts durch die Zerlegung. Es sei wichtig, erklärt Cirak, dass der Inhalt eines Gedichtes „elastisch, verständlich und interpretierbar“ sei. Sie liest ihren Text „Der stille Gast“ vor, „einen Toilettentext“, wie sie sagt. Gelächter der Jugendlichen. So alltäglich das Thema, so peinlich berührt sind die Halbwüchsigen. Dann muss die Autorin noch erzählen, wovon sie lebt. „Glück“ hätte sie gehabt, da sie einige Literaturpreise und Stipendien bekommen habe, die Geld einbrachten. „Vom Buchverkauf kann man nicht leben“, sagt sie. Sie will nicht gehen, ohne den Schülern zu raten, eine Bücherei aufzusuchen und sich ein Buch auszusuchen, vielleicht einen Gedichtband, „Ringelnatz, der ist zum Lachen“.
Auch der irakische Schriftsteller Najem Wali gibt den Schülern der Klasse 9e einiges mit auf den Weg. Wali erklärt den Schülern vieles, zeigt ihnen, wie wichtig Bildung auf seinem Lebensweg war. Er liest aus seinem Buch „Bagdad – Erinnerungen an eine Weltstadt“. Wali, der sein Heimatland verließ, um im irakisch-iranischen Krieg von 1980 bis 1988 nicht kämpfen zu müssen, spürt der Stadt nach, in der er vor seiner Flucht studierte.
Alle 50 Jahre seit der Gründung Bagdads im siebten Jahrhundert sei die Stadt von Invasionen, Kriegen, Seuchen und Naturkatastrophen heimgesucht worden. „Das Bild Bagdads in der Welt ist heute bestimmt vom Krieg oder romantisiert von 1001 Nacht“, sagt er. Dem will er Abhilfe schaffen, indem er das Bild, das er sich als Fünfjähriger von Bagdad, in dem er damals nie gewesen war und das seiner Fantasie entsprang, dem Eindruck gegenüber stellt, den er als junger Student der deutschen Literatur Ende der 1970er-Jahre hatte: „Ich baue eine neue Geografie auf.“
„Seid immer neugierig“, rät er den Schülern. Seine Lesung ist wie eine unterhaltsame Geschichtsstunde. Auch der Rektor der Realschule im Aurain, Claus Stöckle, gefällt dieses Nebenprodukt einer literarischen Lesung. Mit Sätzen wie „Wissen ist aufregend“ trifft der Autor den Nerv des Pädagogen. Aber es wirkt: Die Schüler hängen gebannt an den Lippen von Najem Wali. „Lest die Geschichten aus 1001er-Nacht“, rät er zum Schluss.
Info Am Donnerstag, 16. Februar, 18 Uhr, gibt es eine Lesung der fünf Autoren in der Realschule im Aurain.