zurück zur Übersicht

Eine Liebe wie bei Romeo und Julia

zuletzt bearbeitet am 04.06.2007

Jerome und ich haben uns in Paris kennen gelernt. Ich war mit meinen Eltern dort. Mein Vater hatte dort etwas Geschäftliches zu erledigen. Da meine Eltern viel gemeinsam unternahmen, wollte ich ihrem Glück nicht im Wege stehen und war dadurch viel alleine unterwegs. Am dritten Tag wollte ich den Eiffelturm besichtigen, ein Muss in Paris! Das bekam ich dann auch zu spüren, als ich mit der Metro quer durch die Stadt gefahren war. Die Schlange vor dem Eiffelturm war ewig lang. Ich zögerte. „He, Mademoiselle!“, hörte ich jemanden rufen. Vor mir stand ein mittelgroßer, schlanker Typ, kaum größer als ich. Ich schätzte ihn um die 22. Verschmitzt blickte er mich an. „Mademoiselle!“, wiederholte er. „Wenn Sie nichts dagegen haben, könnten Sie zu uns nach vorne kommen, Sie wollen doch auf den Eiffelturm?“ Ich bekam kein Wort heraus, ich konnte ihn nur anstarren, er sah auch zu gut aus. Seine blonden Haare hingen im ins Gesicht und sein Mund war zum küssen. Seine Augen funkelten wie Smaragde in der Sonne. Er packte meine Hand und zog mich mit sich. Ich wehrte mich nicht, ich war einfach nur glücklich.

Von der obersten Plattform des Eiffelturms hatte man eine wunderschöne Aussicht, allerdings war es bereits November, ein eisiger Wind erfasste mein schwarzes Haar. Ich fröstelte, er bemerkte das, zog seinen Mantel aus und legte ihn mir um die Schultern. Ich war verlegen, aber gleichzeitig hätte ich am liebten die ganze Welt umarmt, so glücklich war ich. Für einige Zeit sagten wir gar nichts, sondern genossen die Sonne, die sich allmählich wieder hinter den Wolken hervor schob und blickten über die Dächer von Paris. Er war es, der das Schweigen unterbrach: „Wie heißt du eigentlich?“, fragte er. „Ich bin Yasemin.“ Nervös streckte ich meine Hand aus. “Ich bin Jerome, aber Jerry ist mir lieber“, gab er zurück und ergriff meine Hand. „Du bist Franzose? Warum kannst du denn so gut deutsch?“, wollte ich von ihm wissen. „Meine Mutter kommt aus Deutschland. Mein Vater ist Franzose, aber ich lebe hier in Paris. Soll ich dir die Stadt zeigen?“, fragte er. Ich nickte. Wir trafen uns noch viele Male, bevor ich wieder zurück nach Deutschland reiste. Wir besichtigten Notre Dame und bestaunten die Bilder im Louvre. Oft schlenderten wir einfach so durch die Straßen der Stadt. In den wenigen Tagen wurde unsere Liebe zueinander immer stärker. Zum Abschied schenkte er mir ein wunderschönes Armband. Er versprach mir, mich jeden Tag anzurufen und mir regelmäßig zu schreiben. Wir schworen uns, immer für einander da zu sein.

Das Ganze war jedoch komplizierter, als es auf den ersten Blick schien, da ich der muslimischen Religion angehöre. Meine Eltern hatten mich bereits an den Sohn eines Bekannten versprochen. Der Termin für die Hochzeit mit Kemal stand bereits fest. Es war nicht so, dass ich Kemal nicht mochte. Er war ein charmanter, gut aussehender, freundlicher Mann mit guten Manieren. Wir verstanden uns prima, es war aber dieser Zwang, der mich von Anfang an störte. Ich wollte mich für die Liebe meines Lebens selbst entscheiden.

Je näher die Hochzeit rückte, desto mehr geriet meine Mutter aus dem Häuschen. Ich dagegen wurde immer trauriger. Meine Mutter bemerkte das. „Was hast du denn? Seit Wochen bist du schon so seltsam. Freust du dich nicht auf die Hochzeit?“ Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich wollte meine Familie nicht enttäuschen. „Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst.“ Ich wandte mein Gesicht von ihr ab, damit sie mir nicht in die Augen sehen konnte. Ich war sehr schlecht im Lügen. „Es ist nichts.“ Ich stand auf. „Ich gehe spazieren.“ Ich nahm meinen Mantel vom Haken und schloss die Haustür hinter mir. Im Park setzte ich mich auf eine Bank, um nachzudenken. Es musste doch eine Lösung geben. Ich liebte Jerome wirklich und wollte nur mit ihm meine Zeit verbringen. Ich wollte mit ihm um die Welt reisen und die verschiedenen Kulturen kennen lernen.
Verträumt blickte ich zum Kiosk, der an den Park grenzte und fiel fast von der Bank. Vor dem Kiosk standen zwei Gestalten, eng umschlungen und wild knutschend. War das nicht Kemal? Ich sprang auf und näherte mich dem Pärchen mit schnellen Schritten. Natürlich war es Kemal mit so einem aufgetakelten Blondchen. Ich holte tief Luft und tippte ihm auf die Schulter. Ruckartig wirbelte er herum. Für einen kurzen Moment sah man das Entsetzen in seinen Augen, doch dann kehrte wieder der übliche coole Gesichtsausdruck zurück: „So eine Überraschung. Damit hätte ich nicht gerechnet!“ Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie das Blondchen davon stakste: „Bis später dann, Kemi.“ Am liebsten hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst, aber ich riss mich zusammen. „Du weißt hoffentlich, was das für Folgen haben wird, Kemi?!“, schnauzte ich ihn an. „He Süße, sei doch nicht sauer. Kommt nicht wieder vor, versprochen. Ich liebe doch nur dich!“ Jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich schrie so laut, dass man es im ganzen Park hören konnte: „Du denkst wohl, du darfst alles, aber so gehst du nicht mit mir um. Die Hochzeit kannst du dir sonst wo hin schieben!“ Kemal fehlten für einen Moment die Worte. Doch dann fand er seine Stimme wieder: „Du Miststück! So kommst du mir nicht davon! Ich weiß von dir und deinem Franzosen. Also, überlege es dir, was du sagst. Ein falsches Wort und ich lass dich hochgehen.“ Er drückte mir einen Kuss auf die Wange, dann drehte er sich um, stolzierte zu seinem Auto und fuhr davon. Unter Tränen rannte ich nach Hause und schloss mich in meinem Zimmer ein. So wie an diesem Tag hatte ich mich noch nie gefühlt. Hass, Schmerz, Angst, Sehnsucht und Einsamkeit, alles kam zusammen. Als ich mich wieder beruhigt hatte, nahm ich mein Handy und wählte Jeromes Nummer. Er wusste von der Hochzeit, von Kemal und mir. Ihm konnte ich alles erzählen. Beim dritten Mal, endlich, meldete er sich: „Jerome?“ Ich versuchte ganz normal zu klingen: „ Hast du kurz Zeit?“ „Natürlich für dich immer, was ist denn los?“ Ich erzählte ihm alles, was vorgefallen war und schüttete ihm mein ganzes Herz aus, wobei ich meine Tränen nicht unterdrücken konnte. Er räusperte sich: „So kann das nicht weiter gehen. Du weißt ich liebe dich. Aber du musst dich entscheiden. Kemal oder ich, Yasemin. Entscheide dich!“, sagte er und legte auf. Ich schmiss mich auf mein Bett und weinte.
Die nächsten Tage telefonierten wir nicht. Ich hatte mein Handy ausgeschaltet, aus Angst er könnte Schluss machen. Ich lief vor den Tatsachen davon, anstatt ihnen ins Auge zu blicken. Doch er fehlte mir. An einem Montag saß ich an meinem Schreibtisch und versuchte mich an den Mathehausaufgaben, als meine Mutter mich rief: „Yasemin!“ Ich legte meinen Stift weg. „Ja“, gab ich ein wenig genervt zurück. Sie schob sich durch die Tür: „Telefon für dich. Ein junger Mann! Er sagt, es sei wichtig.“ Mein Herz begann schneller zu schlagen. Es war Jerome. Einerseits war ich erleichtert, andererseits hätte ich am liebsten wieder aufgelegt. „Sag mal, spinnst du? Mich auf dem Festnetz anzurufen! Wenn meine Mutter was merkt!“, blaffte ich ihn an. „Ich versuche seit Tagen dich zu erreichen, aber dein Handy ist anscheinend ausgeschaltet“, gab er ärgerlich zurück. „Ich muss mit dir reden.“ Seine Stimme klang ernst. „ Ich habe da so ein Mädchen kennen gelernt. Sie kommt von hier und ist richtig nett. Yasemin, meinst du nicht, dass es das Beste für uns beide wäre, wenn wir getrennte Wege gehen?“ Ich schluckte und spürte, wie meine Augen feucht wurden. Eine Welt brach für mich zusammen. Ich war ständig vor diesem Moment davon gelaufen und nun war es soweit. Es war aus!
Die Hochzeitsvorbereitungen liefen auf Hochtouren. Ein Raum war bereits gemietet und der Catering-Service war auch schon bestellt. Meine Freundinnen beneideten mich alle um Kemal und mein wunderschönes Kleid. In zwei Wochen würde ich eine unglücklich verheiratete Ehefrau sein, von einem Mann, der mich nicht ernst nahm und mich betrog. Ich wurde immer trauriger und zog mich immer mehr zurück. Eines Abends steckte meine Mutter den Kopf ins Zimmer und sah mich mit leerem Blick auf dem Bett sitzen. Besorgt setzte sie sich zu mir und nahm mich in den Arm. Ich weinte und sie begann mich in ihren Armen zu wiegen. Wir saßen sehr lange so da und schwiegen. „Mama, ich möchte Kemal nicht heiraten!“, platzte es aus mir heraus. Ich erzählte ihr alles, von Jerry, Kemal und dem Blondchen, einfach alles. Die ganze Zeit über blieb sie still. Ich versuchte ihre Gedanken zu lesen, aber es gelang mir nicht. Doch dann lächelte sie. „Wenn ich ehrlich bin, bei mir war es nicht anders. Ich sollte verheiratet werden, doch ich liebte deinen Vater. Ich habe beschlossen auf mein Herz zu hören. Ich denke, das solltest du auch tun.“

Heute leben Jerome und ich zusammen in Paris. Die Freundin hatte er nur erfunden, um mir die Entscheidung abzunehmen. Meine Mutter hat mich damals sehr unterstützt, sie diskutierte tagelang mit meinem Vater und konnte ihn davon überzeugen, dass die Liebe manchmal wichtiger ist als Religion.